Ist Contact noch Contact?

von Benno Enderlein, Freiburg, cim Nr.13 4/2000, überarbeitet 2005

Angeregt durch den Artikel von Daniel Lepkoff im Contact Quaterly - Winter/Spring 2000 habe ich mich entschlossen ein paar meiner Gedanken dazu zu notieren.

Ich möchte damit für mich klären wo aus meiner Sicht Contact steht. Daniel spricht in seinem Artikel über die Veränderung, die Contact, seit seiner Entstehung erfahren hat.
Er erkennt in dem auf äußere Formen "reduzierten" Contact nicht mehr die Idee, die Contact am Anfang zu Grunde lag, nämlich: "Nicht wissen, Fragenstellen, zu denen es noch keine Antworten gibt."

Das ist auch für mich die spannendste Art Contact zu erfahren. Die Antworten ergeben sich erst durch den Tanz, durch die Erfahrung, die der Körper während eines Tanzes macht. Der Körper spricht und der Geist hört zu, das Bewußtsein nimmt wahr. Der Intelligenz des Körpers einen Raum zu geben, einen Raum sich mit-zu-teilen, heißt Raum geben zur Entdeckung einer anderen Wahrheit.

Die Form Contact entwickelt sich, und im Moment geht es im Contact, wie Daniel, finde ich, zu recht feststellt, vermehrt um Äußerliches, Zielorientiertes. Da geht es z.B. um.: "Wie komme ich von da nach da," . . "wie hebe ich jemanden am besten auf die Schulter," . . . "wie rolle ich mit dem Gewicht einer anderen Person ohne mich zu verletzen," . . . usw. Und es gibt fertige Antworten, es gibt tausend, ja millionenfach erprobte Bewegungen, die sich als ökonomisch oder ästhetisch oder vom Körperempfinden am wohligsten erwiesen haben. Contact seht an einer anderen Stelle als noch vor 20 Jahren, als es in den Kinderschuhen steckte.

Die Form Contact verändert sich. Sie entwickelt sich, man könnte auch sagen sie evolutioniert. Sie verhält sich wie ein Lebewesen: etwas wächst, entfaltet sich, etwas stirbt, wieder anderes entsteht, usw. Der Unterschied ist aber, daß Contact nicht körperlich existiert, man kann es nicht anfassen wie ein aus Materie bestehendes Lebewesen. Contact existiert nur durch uns, wir geben dieser Form Leben, jedesmal von neuem, dadurch daß wir es praktizieren. Jede/r Einzelne belebt es neu indem er/sie sich das nimmt, was die Form in sich trägt, und seine/ihre Ideen und Impulse hinzufügt. Manchmal entdeckt er/sie etwas neues, vielleicht etwas, was Hunderte oder Tausende vor ihm/ihr auch schon entdeckt haben. Vielleicht ist es aber auch etwas, was für die ganze Contact-Bewegung bisher einzigartig ist. Jede/r nimmt vom Neuentdeckten das auf, was er/sie für sich braucht, verarbeitet es und macht es zu seinem/ihrem eigenen. Was er/sie dann davon weiter gibt ( nicht nur als Lehrer/in), ist das, was er/sie verstanden hat, was ihn/sie daran interessiert. All die Millionen und Abermillionen anderen Informationen, die in der Form stecken aber nicht gesehen wurden, gehen an ihm/ihr vorbei.
Das bedeutet jedoch nicht daß diese Informationen verloren sind. So wie bei einem Lebewesen, in dessen einzelnen Zelle alle Erbinformationen gespeichert sind, verhält es sich auch beim Contact. Alle Informationen, alle Erfahrungen alle Entwicklungsstufen sind zu jedem Zeitpunkt anwesend aber nicht unbedingt bewußt. Ich glaube, daß keine Erfahrung, die ein Mensch mit Contact je gemacht hat, verloren geht. Welches Interesse auch immer zu irgendeiner gegebenen Zeit im Vordergrund steht, alles andere ist genauso präsent, es wird nur nicht ausgedrückt. Es manifestiert sich nicht, es ist nicht sichtbar. Aber trotzdem ist es da. Die Form Contact, oder nennen wir sie die "Contact-Seele" transportiert durch Zeit und Raum dieses Potential. Was dieses Jahr erblüht ist etwas anderes als das, was vor zehn Jahren erblühte, und die Blume Contact wird in zehn Jahren ein anderes Gesicht haben als noch heute. Wir alle geben Contact eine Form und jede/r einzelne zeigt sich mit Contact in ihrer/seiner Einzigartigkeit. Traurig ist es natürlich, wenn diese Blumen, mit denen ich mich verwandt fühle weniger werden, also das Contact, mit dem ich mich verwandt fühle, seltener anzutreffen ist. . .
Abschied kann sehr schmerzhaft sein. Dieser Schmerz, diese Trauer ist vielleicht zu vergleichen mit dem Schmerz den Eltern haben, die ihre erwachsenden Kinder loslassen, einsehen, daß ihre Kinder eigenständige Lebewesen sind, die nicht identisch sind mit ihren Zielen und Wünschen, allgemeiner: nicht identisch sind mit den Eltern. Sie haben eine eigene Identität. Und so ist es auch mit dem Contact. Was sich entwickelt ist nicht unser eigen, war nie unser eigen. Wir können es nur jedesmal von neuem mit unserem Leben füllen so wie es uns ebenfalls jedesmal neu befruchtet.

Aber wir sind immer nur Gäste. Eingeladene Gäste, die ihr Eigenes , ihre Überzeugungen, ihre Impulse, ihr Leben einbringen können, mit-teilen können. Aber alles ist in Entwicklung begriffen, alles ist vergänglich, ist im Gehen begriffen, im Kommen und Gehen, so wie unser Leben auch, auf dieser Erde. Irgend etwas festzuhalten macht keinen Sinn. Gerade Contact birgt für mich das Potential, diese totale Präsenz für den Moment zu fördern, diesen einzigartigen, sinnlichen Augenblick nur zu "Sein". Das ist Leben.

Der Mensch erschafft, indem er sich fort-pflanzt, einen neuen Körper und hinterläßt einen Abdruck von sich in der Welt. (Kinder)Seelen werden in diesem Abdruck von gelebter Zeit hineingeboren, wachsen heran und formen diesen ihren Körper auf ihre Weise, bis sie ihre Erfahrungen wieder weitergeben, indem sie einen neuen Körper zeugen und damit Raum geben für eine neue Seele, einen Raum geben für neue Erfahrungen. So kann man die ganze Menschheit nicht nur als einen sich evolutionierenden Körper sehen, sondern auch als eine evolutionierende Seele. Und ebenso verhält es sich nach meiner Überzeugung mit dem Contact. Jede/r die/der Contact praktiziert fügt etwas von sich zur "Contact-Seele" hinzu, und zwar in dem Augenblick in dem sie/er Contact er-lebt. Sie/er befruchtet Contact und trägt es ein Stück weiter in Zeit und Raum. In jedem Augenblick wird dadurch ein neuer, imaginärer "Contact-Körper" geboren. Der "Körper Contact" gibt den Tanzenden jedesmal neuen Raum, für neue Erfahrungen. Das ist das Mysterium vom werden und vergehen, vom Fluß des Lebens, des Lebendigen.

Diese Entwicklung ist weder anzuhalten noch aufzuhalten. Und das ist auch gut so. Es ist die Eigenart von Lebendigem, sich zu verändern und heute ein anderes Gesicht zu haben als noch gestern. So wie es uns jede Blume, jeder Baum, jedes Gras vorlebt, können auch wir nur das leben, was wir sind. Unserer Essenz Gestalt verleihen, unsere Blüte zur Frucht treiben, ist das Einzige und Beste was wir für uns und für alle anderen Lebewesen tun können. Ich wünsche mir einen in Liebe gedeihenden Menschen, mit Liebe und Respekt gedeihendes Contact, . . . in dem Spirit gibt es nichts schlechtes oder falsches, . . . es ist anders, jede/r ist einzigartig.

Jetzt habe ich ein wenig meine transzendente Energie in den Contact gebracht. Aber Contact ist für mich auch mehr als nur eine Form. Es ist Körper, es ist Geist, es hat eine Seele . . . Contact ist eine Art Religion.

 

 


 


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